Klimagrätzl Expert:innen-Gespräch Mobilität
Mobilität im Grätzl
Verkehrsforscher und -planer Ulrich Leth (TU Wien) war bei uns zu Gast. Wie kommen wir von der fossilen Mobilität im Alltag weg und was tun andere Städte um Lärm und Abgase zu reduzieren? Hier eine Zusammenfassung.
Das Thema Mobilität hat grundsätzlich zwei Aspekte, die es für das Klimagrätzl relevant machen. Erstens: Das derzeitige Mobilitätsverhalten verursacht einen großen Anteil am CO2-Ausstoß Wiens und damit auch unseres Bezirks. Konkret sind es 22 Prozent der Gesamtemissionen, die auf das Konto von Wiener PKWs gehen, und 11 Prozent die von Nicht-Wiener PKWs (Pendler:innen) in Wien ausgestoßen werden. Im Gegensatz zu den sehr großen Sektoren Industrie und Gebäude (Heizen/Kühlen), wo CO2 laufend eingespart wird, steigen die Emissionen im Sektor Verkehr immer noch weiter.
Zweitens: Die fossile Mobilität besetzt derzeit fast zwei Drittel des öffentlichen Straßenraumes in der Stadt. 64 Prozent der Flächen sind im 3. Bezirk fast exklusiv den (privaten) Kraftfahrzeugen gewidmet, zum Fahren oder zum Parken. Dieser Platz steht wiederum für andere Nutzungen nicht zur Verfügung, z.B. breitere Gehsteige, getrennte Radwege, Radbügel, Behindertenparkplätze, Ladezonen oder Begrünungen.
So schaut’s derzeit aus
Welche Bedeutung haben nun die verschiedenen Verkehrsmittel in der Stadt? Mit dem so genannten Modal Split wird der Anteil an den zurückgelegten Wegen je nach Art der Fortbewegung gemessen. Die Zeitreihe zeigt, dass sich seit 2010 nicht viel in der Verteilung verändert hat:

Dabei hat die Stadt Wien in ihrem Stadtentwicklungsplan 2025 (noch unter Rot-Grün) eine Reduktion des Auto-Anteils von derzeit 25 Prozent bis zum Jahr 2030 auf 15 Prozent als Ziel formuliert. Auch in den Smart-Klima-City-Zielen (bereits unter Rot-Pink) wird das offiziell angestrebt. Wie das in den nächsten Jahren erreicht werden soll, bleibt allerdings offen. Die stadteigene Agentur Urban Innovation Vienna geht jedenfalls von einem konstanten Anteil beim öffentlichen Verkehr bis 2030 aus. Dann müssten Fuß- und Radverkehr entsprechend zulegen. Unrealistisch ist das nicht: In anderen Städten in Europa liegt der Radverkehrsanteil beim Dreifachen oder noch höher. Die ambitionierten Ziele der Stadt wurden bisher von den meisten Bezirken nur wenig mit großzügigen Maßnahmen unterstützt. Diese sind aber für die Verkehrsorganisation der meisten Straßen zuständig.
Weniger PKW als Ziel der Stadt
Wie sieht es nun mit der Anzahl der PKW im Bezirk aus? Aussagekräftig ist hier der Motorisierungsgrad. Das heißt, wieviele zugelassene PKW gibt es je 1000 Einwohner:innen? Im 3. Bezirk sind es fast 400 und damit für einen Innenbezirk noch recht viele. Die Stadt Wien will das bis 2030 auf 250 senken (inklusive Firmenautos). Es fehlt also noch einiges im Bezirk um zumindest auf diesen Wiener Durchschnittswert zu kommen.
Für den öffentlichen Raum relevant ist außerdem wieviele PKW-Halter:innen im Bezirk ein Parkpickerl haben und damit unbegrenzt auf der Straße parken dürfen. Das sind über die Jahre relativ konstant rund 15.000 und damit ca. 50 Prozent der privaten PKW im Bezirk.

Straßenverkehr als soziale Schranke
Ein wenig beachteter Aspekt der Mobilität im Grätzl ist die soziale Trennwirkung von stark befahrenen Straßen, die auch unser Bezirk zur genüge hat. Eine Studie von 1981 aus den USA zeigte, wie die Kontakte und Bekanntschaften zwischen den Bewohner:innen einer Straße stark reduziert sind, wenn die beiden Straßenseiten von mehrspurigem Autoverkehr getrennt sind. Dort definieren die Menschen ihren eigenen Lebensraum recht eng mit ihrer Wohnung oder ihrem Haus. In verkehrsberuhigten Straßen begreifen die Anrainer:innen den Straßenzug oder das ganze Viertel als ihre Wohngegend.

Wohin entwickelt sich die Stadt-Mobilität in Zukunft?
Die Verkehrsplanung kennt drei Ziele, die eine nachhaltige Verkehrspolitik anstreben kann: Verbesserung, Verlagerung und Vermeidung.
Verbesserung wäre im Sinne des Klimagrätzls, dass bei gleicher Fahrleistung weniger CO2, Lärm und Feinstaub ausgestoßen werden (z.B. E-Autos, Wasserstoff-Busse statt Diesel). Bei der Verlagerung werden Fahrten mit dem PKW durch umweltfreundliche Mobilität ersetzt. Die meisten Vorteile bringt schließlich die Vermeidung/Verkürzung von Wegen, weil die Bedürfnisse vor Ort befriedigt werden können („Viertelstunden-Stadt“) oder z. B ein Teil der Arbeitswege durch Home Office und Video Calls wegfällt.
Welche Maßnahmen in anderen Städten in Europa ergriffen werden, um diese Ziele erreichen, zeigt der folgende Überblick:
Paris hat sich die Viertelstunden-Stadt auf die Fahnen geheftet. Es sollen alle Funktionen der Stadt innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sein, ohne mit dem Auto oder der Metro in die Peripherie oder ans andere Ende der Stadt fahren zu müssen. Die Idee ist nicht neu und kam bereits als „Stadt der kurzen Wege“ in diversen Stadtentwickungskonzepten vor. Unter anderem bei der zweite Bauphase von Eurogate (heute „Village“), wo wir Grüne das bereits vor zehn Jahren eingefordert haben.
Amsterdam ist ein Vorreiter bei der stufenweisen Parkraumbewirtschaftung. Es gibt sieben Zonen, mit Parkgebühren, die nach innen teurer werden. Der Lenkungseffekt soll PKW-Fahrten ins Zentrum unattraktiv machen.
Stockholm hat bereits 2007 nach einer Testphase eine Citymaut eingeführt. Interessantes Detail: Die Zustimmung ist nach Beginn der Testphase binnen weniger Jahren gestiegen, egal ob jemand ein Auto hatte oder nicht.
Barcelona hat das Superblock-Modell international bekannt gemacht. Das sind verkehrsberuhigte Viertel, die das Durchfahren unterbinden. Der motorisierte Verkehr bleibt auf einigen Hauptverkehrsstraßen, innen werden Straßen und Kreuzungen als kleine Parks und Aufenthaltsorte umgestaltet. Inzwischen werden auch die Superblocks mit Grünraumachsen verbunden.
Wir wissen bereits aus Studien in den 1980er Jahren: Die Leute sind eher bereit längere Wege zu Fuß zurückzugehen, wenn die Umgebung angenehm ist. Der Weg zum öffentlichen Verkehr wird dadurch ebenfalls attraktiver. Eine Hoffnung, die sich außerdem an die Superblocks knüpft: Lokal einkaufen wird wieder attraktiver und neue Geschäfte siedeln sich an.
In London wurden vergleichbare „Low Traffic Neighbourhoods“ (LTN) eingerichtet. Interessant ist hier die Veränderung im Verkehrsaufkommen: Der Autoverkehr in den LTN ist erwartbar stark zurückgegangen, der Radverkehr hingegen hat stark zugelegt. Aber um die LTN herum hat der Autoverkehr nicht zugenommen (durch Verlagerung) sondern ist konstant bis leicht rückläufig gewesen. Die Verkehrsanpassung ist also großräumig.
In Wien Favoriten wird jetzt ebenfalls ein Superblock umgesetzt, das so genannte „Supergrätzl“. Derzeit läuft noch die Pilotphase. Es wurden Diagonalsperren eingeführt, um das Durchfahren zu verhindern, in der Herzgasse wurde eine Fußgänger:innenzone eingeführt, bisher nur mit temporären Maßnahmen. Das Budget dafür war allerdings zu gering, darum sind die Sperren eher halbherzig ausgefallen und werden oft umfahren. Es wird die Einhaltung auch nicht kontrolliert. Positiv: Radfahren gegen die Einbahn geht jetzt dort und der Schulvorplatz wird autofrei gemacht.
Ähnlich dem Superblock-Prinzip, nur etwas größer gedacht, ist das Traffic-Circulation-Konzept. Der motorisierte Verkehr fließt um einen Stadtteil (meistens die Innenstadt) herum und das hineinfahren ist nur an bestimmten Punkten möglich. Durchfahren ist nicht erlaubt, man muss wieder zurück auf die „Ringstraße“ um auf die andere Seite zu kommen. Groningen in den Niederlanden oder Ghent in Belgien wären Beispiele dafür. Die Größe der Zonen ist mit dem 1. Bezirk in Wien zu vergleichen. Für den 8. Bezirk gibt es bereits eine Studie zu so einem Bezirks-Superblock.
Am leichtesten umsetzbar ist flächendeckendes Tempo 30 in den inneren Bezirken. Paris und Brüssel haben das 2021 eingeführt, nur mehr wenige Hauptstraßen stadteinwärts haben noch Tempo 50. Im Vergleich dazu hat Wien noch ein dichtes Netz an Tempo-50-Straßen im dicht verbauten Gebiet. Wie wirkt sich Tempo 30 aus? Messdaten aus Brüssel zeigen: Es reduziert sich auf allen Straßen die durchschnittliche Geschwindigkeit, die durchschnittliche Reisezeit bleibt gleich. Vermutlich ist der Verkehrsfluss gleichmäßiger, weniger Stop und Go.
Was außerdem auf einer lokalen Grätzlebene umsetzbar wäre:
- Sichere Radwege. Ein Merkmal für sichere Radwege ist, dass Kinder sie alleine benutzen können.
- Angenehme Fußwege
- Vorrang für den öffentlichen Verkehr
- Reduktion der Stellplätze. In Wien fehlt hier oft die empirische Basis. Der 7. Bezirk ist der einzige, der den Parkraum inklusive private Garagen mit Studien erhebt. Daher weiß man z.B, dass dort theoretisch alle gemeldeten PKW in einer der Garagen im Bezirk einen Platz hätten.
- Weniger Fahrspuren für Autos
Fazit: Es muss sowohl Pull- als auch Push-Maßnahmen geben (d.h. den Autoverkehr unattraktiver machen), sonst kommen viele gar nicht erst auf die Idee etwas anderes als den PKW vor ihrem Haus zu benutzen.
Fragen und Antworten
Im Anschluss an die Präsentation kamen noch Fragen aus dem Publikum.
Welche Rolle werden in Zukunft die E-Fahrräder spielen, gerade in Wien wo es auch rauf und runter geht?
Die Reichweite mit dem E-Bike ist jedenfalls um ein mehrfaches höher und pendeln mit dem Rad wird dadurch interessant. Es braucht aber auch hier mehr Platz in der Stadt, um den zusätzlichen Radverkehr aufzunehmen. Es müssen die Flächen umverteilt werden.
Es kommt von der Bezirksvorstehung oft das Argument, dass Auto-Spuren nicht reduziert werden können, weil das zu permanenten Stau führen würde. Gibt es dafür wissenschaftliche Indizien?
Nein, es gibt erfahrungsgemäß nur anfangs mehr Stau und nach zwei bis drei Wochen ist es wieder so wie vorher. Mobilität ist totale Gewohnheit. Es braucht bestimmte Irritationen, damit sich das Mobilitätsverhalten ändert. Gesperrte Straßen werden ja auch vorher angekündigt, die Leute können sich einstellen, der befürchtete Dauerstau findet nicht statt. Es gab einige Beispiele mit Baustellen, wo man das beobachten und mit Verkehrszählungen messen konnte. Zum Teil wissen wir auch gar nicht genau, warum das Verkehrsaufkommen weniger geworden ist.
Wie soll der öffentliche Verkehr attraktiver werden und auch den Superblock erschließen?
Der öffentlicher Verkehr soll eher nicht durch den Superblock fahren. Das würde die Vorteile wie die Bewegungsfreiheit für Kinder wieder aufheben. Im Durchschnitt hat man in Wien ca. 200 m bis zur nächsten Öffi-Haltestelle, das ist international ein guter Wert. Der Weg zur Haltestelle wäre in einem verkehrsberuhigten Grätzl allerdings angenehmer.
Wie machen das die Verkehrsplaner:innen, wenn sie an ein Projekt herangehen?
Das ist eine Frage der Generation. Je nachdem werden andere Prioritäten gesetzt, entsprechend der Zeit der Ausbildung und Sozialisation. Früher war es üblich vom bestehenden Modal Split auszugehen, der Autoverkehr wurde als konstante Größe angesehen. Der neuere Ansatz ist, dass man vom Straßenrand ausgeht und ausreichend Platz für Fuß- und Radverkehr zuteilt. Der Rest bleibt dann dem motorisierten Verkehr. Die Stadt Wien will diesen ja binnen acht Jahren fast halbieren. Man sollte also so planen, dass der zukünftige Bedarf als Grundlage dient.
Beim Supergrätzl Favoriten war die Herangehensweise etwas anders. Da ist man vom Baumpotenzial ausgegangen und dabei geben die unterirdischen Leitungen die Standorte vor. Es müssen außerdem Mindestabstände und Gehsteigbreiten eingehalten werden, dann wurde noch Platz für die Fahrbahnen eingeplant. Der Rest sind Potenzialflächen für verschiedene Nutzungen.
Gibt es auch eine Parkraumstudie für den 3. Bezirk?
Die Antwort gab Susanne Nückel, Bezirksvorsteher-Stellvertreterin: „Es gab einen Antrag von den Grünen dazu und die SPÖ hat zunächst ihre Bereitschaft signalisiert. Letztlich hat der SPÖ-Bezirksvorsteher die Umsetzung einer solchen Studie dann doch abgelehnt. Es gibt also derzeit keine Mehrheit dafür im Bezirk.“