Expertinnen-Gespräch: Win-Win für Gesundheit und Klima

Thomas Müller – Beim Expertinnen-Gespräch zu Gesundheit im Grätzl im November 2022 wurden einige
Nebeneffekte der Klimaerwärmung angesprochen, die sonst wenig beachtet werden. Für die
Politik und Stadtplanung stellt sich die Aufgabe, verschiedene Faktoren, wie sozialen Status,
Bildung und Migration zusammenzudenken.

Historisch galt die Stadt die längste Zeit als ungesunder Ort. Die meisten Wiener:innen der Gründerzeit im 19. Jahrhundert lebten in miserablen und beengten Verhältnissen und die Stadt roch im Winter nach dem Holz- und Kohlenrauch aus den Rauchfängen. Fabriken standen in den Vorstädten zwischen den Wohnhäusern und verursachten ebenfalls Abgase und Staub. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, aber heute steht die dicht verbaute Stadt vor anderen Problemen, die wir uns in den vergangenen Jahrzehnten zum Teil selbst eingehandelt haben. Steigende Temperaturen und so genannten „urbane Hitzeinseln“ kommen als verschlimmernde Faktoren hinzu.

Christina Lampl, Diätologin und Gesundheitsexpertin bei der Gesundheit Österreich GmbH, ein Forschungszentrum des Gesundheitsministerium, hat uns zunächst dazu einen Überblick gegeben. Die urbane Hitze, die in manchen Jahren bereits im Frühjahr einsetzen kann, wirkt sich einerseits auf Kinder, andererseits auf die Generation 60plus am negativsten aus. Indirekt mit dem Klima zusammen hängt die Verbreitung von Allergien oder neuen Insektenarten, die wiederum Krankheiten übertragen können. Ein relativ neues Phänomen ist vor allem bei jungen Menschen die Zukunftsangst, durch die sich aufbauende Klimakrise und die dabei wahrgenommene Ausweglosigkeit. Das ist zwar kein konkretes Krankheitsbild, aber die WHO definiert Gesundheit als ganzheitliches physisches und psychisches Wohlbefinden, und eben nicht nur als Abwesenheit einer akuten Krankheit.

Soziale Faktoren

Und noch eine schlechte Nachricht: Europa ist von den gesundheitlichen Klimafolgen stärker betroffen, weil die Bevölkerung älter ist und es einen hohen Grad an Urbanisierung gibt. Wenn man sich noch die soziale Zusammensetzung der Gesellschaft ansieht wird es noch komplexer. Wer über ein geringes Einkommen verfügt oder wenig Bildungs-Chancen gehabt hat, ist an sich schon eher gefährdet, chronische Krankheiten zu entwickeln. Ein niedriger sozialer Status bedeutet aber auch, dass die Wohngegend weniger Grünflächen aufweist und von Hauptverkehrsstraßen durchzogen ist.

Nicht selten sind das auch Sprengel, in denen besonders wenige Wahlberechtigte zu finden sind, weil die Mehrheit nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Während die einen also mit dem teuren SUV ins grüne Döbling oder weiter in die Nachbargemeinden im Speckgürtel nach Hause fahren, dürfen andere die Abgase und den Feinstaub einatmen. „Was mich selbst immer wieder erstaunt ist, wie stark sich das alles am Ende auswirkt. Bei benachteiligten Gruppen ist die Lebenserwartung der Frauen um bis zu 13 Jahre reduziert, jene der Männer um 16 Jahre“, nennt Christina Lampl zwei bedrückende Zahlen.

Weniger CO2, mehr Gesundheit

Andersherum heißt das aber auch, dass Maßnahmen, die gegen den CO2-Ausstoß und gegen die Hitze in der Stadt getroffen werden, so genannte „Co-Benefits“ für die Gesundheit der Bevölkerung haben. Also eine klassische Win-Win-Situation. Wenn es etwa attraktiver (oder auch nur weniger lebensgefährlich) wird, im Alltag mit dem Fahrrad zu fahren statt mit dem Auto, profitieren so gut wie alle davon. Genauso wird ein Grätzl, dass gut zu Fuß durchquerbar und barrierefrei ist, auch jenen helfen, die eben nicht mehr gut zu Fuß sind und mit Gehilfen oder Rollstühlen unterwegs sind. Grundsätzlicher wird es beim Thema Ernährung und Fleischkonsum. Weniger Fleisch pro Woche bedeutet nicht nur eine Reihe von gesundheitlichen Vorteilen, sondern packt auch eine wichtige Ursache von CO2-Ausstoß an der Wurzel.

Von Politik und Stadtplanung fordert die Expertin das aktivere Miteinbeziehen von gesundheitlichen Folgen bei politischen Entscheidungen. Dafür wurde die Methode der Gesundheitsfolgenabschätzung entwickelt, die bei großen Projekten angewandt werden sollte.

Die autogerechte Stadt und ihre Folgen

Die Raumplanerin Magdalena Maierhofer von der Technischen Universität Wien hat in ihrem Vortrag noch einmal den Blick zurück gerichtet und skizziert, wie im 20. Jahrhundert auf die katastrophalen gesundheitlichen Zustände in den Städten reagiert wurde. Die Antwort der modernen Stadtplanung war die Trennung von Wohnsiedlungen und Industrieproduktion, die nach dem 2. Weltkrieg aber auch zu neuen Fehlentwicklungen geführt hat. Denn erklärtes Ziel war das leistbare Automobil für alle als Teil des Wiederaufbau-Wohlstandsversprechens. Damit sollte jeder schnell und bequem zum Arbeitsplatz und wieder zurück in die moderne Wohnsiedlung am Stadtrand kommen. Das Ergebnis waren Autobahnen und Schnellstraßen quer durch die Städte, auf denen sich heute die Autos stauen, egal wie viele Spuren seit den 1970er Jahren dazugebaut wurden. Die Wiener Südosttangente ist hier ein wissenschaftlich gut untersuchtes Beispiel.

Die genaue Gegenbewegung dazu ist die aktuelle Zurückdrängung des Autoverkehrs aus den europäischen Stadtzentren und Wohngegenden bis hin zu autofreien Siedlungen. Dass das ein wichtiger Aspekt eines „gesunden“ Grätzls ist, zeigt das Konzept der „Healthy Street“ aus Großbritannien. Dabei geht es aber um weit mehr als (Auto-)Verkehrsberuhigung. „Die Healthy Streets sollen aber nicht nur ruhig und grün sein“, erklärt Maierhofer Es gibt dort idealerweise für die Anrainer:innen etwas zu sehen, es gibt die Möglichkeit, andere aus dem Grätzl zu treffen. Es gibt Veranstaltungen und Straßenmärkte und für Kinder gibt es Spielplätze.“ Solche Straßen würden auch die Stadtzentren stärken, und diese als lebenswerte Wohngegenden erhalten.

Niederschwelliges Angebot

Was die konkrete Gesundheitsversorgung vor Ort betrifft, so gibt es neben der klassischen Ordination inzwischen auch verschiedene Formen von Stadtteil-Gesundheitszentren. In Österreich wurde die Institution der Primärversorgungszentren eingeführt, bei der sich verschiedene Ärztinnen und Ärzte zusammenschließen und Infrastruktur teilen können. Der Gesundheitsbereich könnte auch neue Nutzungen für leerstehende Handelsflächen im Erdgeschoss bieten. Das können zum Beispiel Angebote zur niederschwelligen Gesundheitskommunikation sein. Dabei darf es auch kreativer zugehen, wenn es darum geht die Bewohner:innen gezielt zu erreichen. Maierhofer nennt ein Beispiel aus Berlin, wo ein kostenfreier Beautysalon eingerichtet wurde und ganz nebenbei auch Gesundheitsinformationen an die Kundinnen vermittelt wurden. „Bei der Kommunikation stellen sich die Fragen: Wer verbringt viel Zeit im Grätzl? Wer ist nicht über den Arbeitsplatz erreichbar?“, sagt die Expertin.

Der Politik möchte sie mitgeben, dass bei oben genannten Umgestaltungen von Straßen möglichst partizipativ geplant werden sollte, dass heißt, die Kreativität der Menschen vor Ort wird aktiviert und nutzbar gemacht. Neben gebauten Realität in den Grätzln müssen auch die althergebrachten Bilder im Kopf hinterfragt werden. Das „gesunde“ Landleben und das lärmende, stressige Stadtleben sind keine zeitgemäßen Zuschreibungen mehr. Ganz im Gegenteil sei das städtische Leben heutzutage gesund, weil alles in der Nähe ist und mit der eigenen Muskelkraft erreicht werden kann. Gerade in kleinen Gemeinden sei das oft nicht mehr so.

Beim Expertinnen-Gespräch zu Gesundheit im Grätzl wurden einige
Nebeneffekte der Klimaerwärmung angesprochen, die sonst wenig beachtet werden.

Fazit

Für uns in der Bezirkspolitik, heißt das, dass wir mehr als bisher die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise berücksichtigen und kommunizieren müssen. Es wird nicht nur „ein bisschen mehr heiß“ und die vulnerablen Gruppen werden durch die Demographie eher größer als kleiner werden. Bei den Gesundheitseinrichtungen ist unser Einfluss zwar denkbar gering, aber die Aktivierung von Leerstand in weniger guten Lagen wäre auch bei uns ein möglicher Ansatzpunkt. Die Methode der Gesundheitsfolgenabschätzung wollen wir gerne aufgreifen und diese begleitend zum kommenden Planungsprozess für die Landstraßer Hauptstraße vorschlagen (Mehr dazu). Diese Studie von der Gesundheit Österreich GmbH wäre kostenlos und würde erstmals valide Daten zu konkreten Maßnahmen im Bezirk liefern.

Die Lebensqualität, die Wohnverhältnisse und die Umweltbelastung in der Stadt hat sich im 20. Jahrhundert dramatisch verbessert und die Errungenschaften des Roten Wien haben daran einen großen Anteil. Was es aber jetzt braucht, ist eine vorausschauende, proaktive Politik, die sich um den öffentlichen Raum wie um ein „Wohnzimmer für alle“ kümmert und nicht wie um einen Privatparkplatz. Die „gesunden Straßen“ sind die Aufgabe für das 21. Jahrhundert und hier im 3. Bezirk stehen wir leider noch ganz am Anfang.

Präsentation Lampl

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