Kein Apfel fällt vom Stamm
Die Landstraße beschließt Obstbäume, die Stadt pflanzt sie nicht
Im vergangenen Jahr beschloss der Umweltausschuss Landstraße, mindestens zwanzig Obstbäume am Donaukanal und im Schweizergarten zu pflanzen. Diese hätten entsprechend gekennzeichnet und Früchte für alle frei zur Verfügung stehen sollen. Nun antworteten die Wiener Stadtgärten, dass sie die Bäume nicht pflanzen möchten, weil Menschen auf die Äste klettern würden und herabfallendes Obst belästigt. Zahlen dazu oder eine Studie gibt es nicht.
Im Frühling erwacht die Natur zum Leben und verschiedene Bäume prahlen mit farbenfrohen Blüten. Apfelbäume strahlen in weiß, Kirsche und Marille decken eine Palette an Rosarot ab. Gemeinsam mit Feigen, Maulbeeren, Pfirsichen und anderen Obstbäumen locken sie Insekten und Bienen an und verbreiten Düfte. Später entwickeln sich reife Früchte, die wir in Wien hauptsächlich vom Markt und Supermarkt kennen.
Es gibt bereits einige Städte wie z.B. Linz (https://linz.pflueckt.at/), die aktiv Obstbäume in der Stadt fördern und die Bewohner:innen einladen, die Äpfel, Kirschen, Pfirsiche und was es sonst so gibt zu pflücken und zu genießen.
Es spricht viel dafür, Obstsorten vor allem in der Stadt zu pflanzen und zu fördern.
Die Bäume ermöglichen es der Bevölkerung, und vor allem Kindern, einen unmittelbaren Bezug zu Lebensmitteln zu erstellen, und vermitteln wichtige Prinzipien der Nachhaltigkeit wie Regionalität und Saisonalität. Sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für Stadtbienen (im Dritten leben Bienen u.a. am Dach vom Hotel Daniel, in der Vorderen Zollamtsstraße, im Botanischen Garten und am Donaukanal), und unterstützen die Biodiversität.
Die Früchte der Bäume und Sträucher stellen frei verfügbares Gemeingut dar und sind zur freien Entnahme. Somit werden der öffentliche Raum erlebbarer und Grünraum Teil des Alltags. Und natürlich färben die Bäume die Straße bunt im Frühling!
Im Dritten gibt es Dutzende Obstbäume, die teilweise auch im Baumkataster der Stadt eingetragen sind. Einige Bäume sind auch auf der Webseite Mundraub zu sehen. Stolz besichtigten wir bei einem Grünen Baumspaziergang den über 340 Jahre alten Maulbeerbaum zwischen Ungargasse und Landstraße. Ich freue z.B. auch über einen Feigenbaum in der Hegergasse. Gibt man der Natur Platz und die Möglichkeit, trägt sie viele Früchte.
Das nahmen wir im Grünen Klub als Anlass, Anfang 2021 einen Antrag zur „Essbaren Landstraße“ zu stellen und die Stadt einzuladen, ein passendes Konzept gemeinsam mit dem Pflanzen von Obstbäumen und fruchttragenden Sträuchern wie Himbeeren und Ribisel zu prüfen. Der Antrag wurde dem Umweltausschuss zugewiesen, in dem wir Erfahrungswerte mit der zuständigen Person der MA42 (Wiener Stadtgärten) austauschten.
Ideen von „Urban Gardening“ und „Essbare Stadt“ kamen nicht vor. Die Stadt scheint keine Studien zu Obst in der Stadt erstellt zu haben. Für Grüne Veränderung braucht es politische Diskussion und Entscheidungen.
Die Mitglieder des Umweltausschuss besichtigten einen Standort für neue Obstbäume am Donaukanal. Wir schlugen zudem den Rand einer Wiese im Schweizergarten vor.
Mit diesen Standorten sind wir auf mögliche Risiken wie zu wenig Platz für Wurzeln, Gefahren von herabfallendem Obst und mögliche Geruchsbelästigung eingegangen und haben sie auf ein Minimum reduziert. Fast alle Fraktionen stimmten für einen gemeinsamen Antrag für mindestens zwanzig neue Obstbäume und fruchttragende Sträucher im Bezirk und eine entsprechende Kennzeichnung für die Landstraßer:innen. Wir freuten uns sehr über dieses kleine und feine gemeinsame Projekt!
Doch die Früchte unserer Arbeit sollten nicht weit reifen.
Der zuständige Stadtrat Jürgen Czernhohorszky antwortete in einem Schreiben auf den Antrag dem Herrn Bezirksvorsteher. Dort steht kurz und knapp, dass die „Wiener Stadtgärten keine guten Erfahrungen mit fruchttragenden Obstgehölzen in Parkanlagen gemacht haben“. Der Stadtrat schreibt, dass Parkbesucher:innen beim Obstpflücken Äste abbrechen würden, Gefahren für Kletternde darstellen und Rutschgefahr sowie Geruchsbelästigung durch Fallobst entsteht. Daher nimmt die MA42 Abstand von dem Antrag. Ein paar Beerenhecken können gepflanzt werden.
Es soll also alles beim Alten bleiben. Wir haben uns viel Arbeit angetan, die Stadt Wien möchte keine Veränderung. Es fallen auch in Zukunft keine Äpfel vom Stamm, blüht keine Kirsche am Donaukanal und die Bienen finden mehr Asphalt als Nektar.
Es ist schade, dass die Stadt nicht dem Wunsch des Bezirks nachkommt bzw. dabei nicht mit Fakten, Zahlen und Studien argumentiert, sondern lose von „keinen guten Erfahrungen“ spricht. Warum sollte sich jemand bei einem Obstbaum mehr verletzen als an Gerüsten? Warum trauen wir den Bewohner:innen keinen verantwortungsvollen Umgang mit Obstbäumen zu? Wo nisten Wespen im Bezirk überhaupt? Warum ist es bisher nicht zu Beschwerden bei existierenden Obstbäumen gekommen? Wie sollen Menschen am Donaukanal von einer Streuobstwiese belästigt werden?
Meiner Ansicht nach, bleibt die Stadt Wien viele Antworten schuldig und versucht unser Anliegen schnell und einfach abzutun. Anstatt Insekten ihre Nahrungsquellen zu rauben, wollen wir Artenvielfalt und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur fördern.
Wir finden es bedenklich, ein Risikoverständnis von Natur haben! Draußen herumzuturnen, Insekten kennen zu lernen und Früchte zu sehen und riechen sollte in unseren Augen das Natürlichste auf der Welt sein – auch im dritten Bezirk!